Apologie von Robert Barclay in der Übersetzung von 1776

12.1

Ich habe bei Erklärung und Beweisung des vorigen Satzes zur Genüge dargethan, wie sehr die Bekenner des Christenthums, sowohl Protestanten als Katholiken, in demjenigen, was den Gottesdienst betrifft, aus der Art geschlagen, und wie weit sie von derjenigen wahren und angenehmen Anbätung, die im Geist und in der Wahrheit geschieht, entfremdet und abgekehret sind; weil der Mensch in seinem gefallenen Zustand von Natur geneigt ist, seine eigene Erfindungen zu erheben, und sein eigenes berfür gebrachtes Werk mit in den Dienst Gottes einzumischen. Und aus dieser Wurzel sind aller eitle Götzendienst, alle Abgðttereyen, und alle diejenigen unzehlichen abergläubischen Erfindungen unter den Heyden entsprungen. Denn da Gott, aus besonderer Nachgebung, seinem auserwählten Volk, den Juden, durch seinen Knecht Mosen, mancherley Zeretnonien und Beobachtungen, als Vorbilder und Schatten des Wejene, welches zu seiner Zeit sollte offenbart werden, vorschriebe, welche meistenteils in Waschen, äußerlichen Reinigungen und Säuberungen bestundeni, so da dauren sollten bis zur Zeit der göttlichen Reformation oder Religions Aenderung, da die geistliche Anbetung sollte eingeführet und der geistliche Gottesdienst aufgerichtet werden: Da Gott der Herr durch die Mächtigere Ausgiessung seines Geistes, und durch die Leitung solcher Salbung, seine Kinder in alle Wahrheit leiten, und sie lehren wollte, ihn auf eine geistlichere und angenehmere, obschon den fleischlichen und äusserlichen Sinnen nicht so wohl gefällige Weise zu verehren: So sehen wir doch, ungeachtet alles dessen, was Gott den Juden in solchen Dingen nachgegeben, das derjenige Teil im Menschen, der seinen eigenen Erfindungen so gerne folget, weder eingeschenk, noch auch mit allen diesen Beobachtungen zufrieden gestellt werden können; sondern daß sie sich bisweilen entweder zu dem andern abergläubischen Wesen der Heiden geneiget, oder selbst noch mehr neue Zeremonien und Gebräuche hinzu gefúget haben. Sie waren solchen auch so ergeben, daß sie dieselben dem Gebote Göttes vorzuziehen pflegten, und zwar unter dem Namen des Eifers und der Gottseligkeit. Dieses sehen wir sattsam an dem Beispielder Pharisäer, so die gewichtigste Sekte unter den Juden war, welche Christus so oft bestraft, daß sie Gottes Gesbot aufgehoben, um ihrer Aufsätze willen, Matthäus 15,6-9, etc. Diese Klage möchte man billig auch noch auf den jetzigen Tag über viele führen, die sich des Namens der Christen anmassen, die viel dergleichen Zeug eingeführten, das sie teils von den Juden, teils von den Heiden geborget haben, worüber sie schärfer halten, und heftiger dafür streiten, als für die wichtigsten Punkte des Christentums. Weil die Selbst-Liebe und Eigenheit, die noch nicht ertödtet ist, sondern in ihnen noch lebt und herrscht, ihre eigene Erfindungen mehr liebt und höher schätzen, als Gottes Gebote. Und wenn sie nur auf einigerlei Weise einige gewöhnliche Uebung, oder ein mit ges wissen Bevingungen gegebenes Gebot, oder etwa eis ne Zulassung in der Schrift, so auf ein oder der ans dern Schwadheit und Fábigkeit gerichtet, oder eis ner besondern Kirchen-Ordnung zugeeignet worden, recken und strecken können, einigen von diesen ilren

Erfindungen einen Schein beizulegen, so hängen und kleben sie denselben alsdenn so feit an, und vers theidigen solche auf eine so hartnäckige und übertäu, bende Weise, daß sie nicht so viel Gedult haben, auch die allergründlichsten darwider vorgebrachten christli- chen Ursachen anzuhören. Wollten sie diesen Eifer nur ein wenig ernstlicher untersuchen, so würden sie befinden, daß solcher vielmehr ein Vorurteil der Auferziehung und der Selbstliebe, als eine Wirkung der wahren Liebe Gottes oder seines reinen Dienstes sei. Dieses beweisen diejenigen Dinge, so Sakramenten genannt werden. Wem unbekannt ist, was vor Streitigkeiten, was für Wort-und Feder-Kriege, was für Hader und Zank, unter denen, die sich Christen nennen, deswegen geführet worden, der muß in streitigen Religions-Sachen gewiss sehr unwissend sein. Also, daß ich sicher sagen mag, es sind der Streitigkeiten wegen ihrer Anzahl, Art, Kraft, Wirkung, Gebrauch, Austeilung und dergleichen, weit mehr gewesen, als wegen irgends einer andern Lehre Christi, sowohl zwischen den Katholiken und Protestanten, als zwischen den Protestanten selbst unter einander. Was nun diese Controversien und Religionsstreitigkeiten den Christen für Nachteil und Schaden gebracht, liegt jederman vor Augen. Da doch die Dinge, worüber sie unter einander selbst dergestalt streiten, mehrenteils in leeren Schatten und bloßen äußerlichen Schalen bestehen; wie ich dem gedultigen und unpartheyischen Leser hernach klärlich vor Augen zu stellen hoffe.