11.9 - Die Stille ist kein Selbstzweck
Bearbeitungsstand
Von dieser Stille und Art des Gottesdienstes könnte ich viele gesegnete Erfahrungen erzählen. Jedoch mache ich deswegen von dem Stillschweigen eben nicht so viel Rühmens und Redens, als ob wir ein Gesetz darinnen suchten, das Beten und Predigen auszuschließen, oder uns daran zu binden. Ganz und gar nicht. Denn gleichwie unser Gottesdienst nicht in Worten besteht; deshalb besteht er auch nicht in Stillschweigen, als Stillschweigen; sondern in einer heiligen Abhänglichkeit des Gemüt an Gott: Von welcher Abhänglichkeit vor erst notwendig das Stille sein folgt, bis daß Worte hierfür gebracht werden können, die aus dem Geist Gottes sein. Und Gott ermangelt nicht, seine Kinder zu bewegen, daß sie Worte der Ermahnung oder des Gebets hervor bringen, wenn es nötig ist. Also geht unter den vielen Versammlungen und Zusammenfünften derer, die von der Wahrheit überzeugt sind, kaum eine hin, darinnen Gott nicht einen oder den andern erwecken sollte, seinen Brüdern auf eine geistliche Weise zu dienen. Solcher Gestalt sind wenig Versammlungen, da alles gänzlich stille wäre. Denn wo viele in diesem einem Leben und Namen versammelt sind, da pflegt es sie gemeiniglich anzutreiben, daß sie beten und Gott loben, und einander durch Ermahnungen und Unterweisungen, Wechselsweise zu erwecken suchen. Jedoch erachten wir es für nötig, daß man sich anfangs eine Zeitlang stille halte. Währender solcher Stille kann sich ein jeder innerlich zum Wort und zur Gabe der Gnade sammeln, von welcher derjenige, so andern das Wort vorhält, Kraft dazu empfängt, Und diejenigen, so zuhören, erlangen dadurch eine Fähigkeit, das Köstliche von dem Unwerten, und das Wichtige von dem Wichtigen zu unterscheiden, und nicht über Hals und Kopf zur Übung dieser geistlichen Dinge hinzu zu eilen, so bald als man die Glocke lauten hört, wie es andere machen. Ja, wir zweifeln keineswegs, sondern wissen gewiss, daß die Versammlung ersprießlich und erquickend sein kan,obschon von der Zeit an, da man sich nieder gesetzt, bis man wieder aufgestanden, äußerlich nicht ein Wort gesprochen worden. Und dennoch hat man verspürt, daß das Leben bei einem jeden übergeflossen, und ein innerliches Wachstum darinnen und dadurch vorhanden gewesen; dergestalt, daß wohl etwas auf eine angenehme Weise, und aus diesem Leben hätte mögen geredet werden: Dieweil aber nichts destoweniger keinem eine unumgängliche Notwendigkeit auferlegt ist, solches zu tun, so haben lieber alle den Herrn in ihnen selbst, auf eine ruhige und stille Weise, zu besitzen erwählt. Welches denn der Seele ungemein stützt und tröstlich fällt, die deshalb gelernt hat, von allen Zerstreuungen ihrer eigenen Gedanken und Werke gesammelt zu werden, und den Herrn zu empfinden, welcher beides das Wollen und Vollbringen wirkt. Welches viele aus ihrer eigenen seligen Erfahrung bezeugen können. Ungeachtet es dem natürlichen Menschen schwer eingebet, diese Lehre anzunehmen oder solche zu glauben. Dennoch muß es vielmehr durch eine empfindliche Erfahrung, und durch selbst eigenen Versuch, als durch Beweisgründe geschehen, daß solche dieser Sache überzeugt werden können. Massen es nicht genug ist, solches zu glauben, wenn sie nicht auch dahin gelangen, daß sie solches geniessen und besitzen. Dennoch finde ich, aus Gefälligkeit gegen solche, und um derer Willen, die desto williger sein mögen, sich auf die Uebung und Erfahrung des selben zu legen, da sie ihren Verstand dadurch überzeugt gefunden, und gesehen haben, was Massen es auf die Schrift und Vernunft gegründet sei; eine Freiheit des Gemüts, demjenigen, was vorher von unserer Erfahrung gemeldet worden, noch etliche wenige dergleichen Betrachtungen, zu dessen Bekräftigung, beizufügen.