11.1 - Der Unterschied zu anderen Gottesdiensten
Bearbeitungsstand
Die Pflicht des Menschen gegen Gott besteht vornämlich in diesen zwei allgemeinen Stücken. 1.) In einer heiligen Gleichförmigkeit oder Übereinstimmung mit dem reinen Gesetz und Licht Gottes; so, daß man beides das Böse lasset, und hingegen in Ausübung derjenigen immerwährenden und sittlichen Gebote der Gerechtigkeit und Billigkeit erfunden werde. Und 2.) wenn man Gott diejenige Ehrerbietung, Andacht, Ehre und Anbetung, die er von uns fordert, erweist, welches alles in dem Wort, göttliche Verehrung oder Gottesdienst, begriffen ist. Von dem ersten haben wir bereits gehandelt, wie auch von den verschiedenen Verwandtschaften der Christen, wie sie durch das besondere Maß der empfangenen und einem jeden verliehenen Gnade von einander unterschieden sind, und in dieser Betrachtung ihre mancherlei Ämter oder Pflichten an dem Leibe Christi, welcher die Kirche ist, zu beobachten haben. Nun komme ich auf den Gottesdienst, oder auf diejenigen Handlungen, sie mögen zu Haus oder öffentlich, allgemein oder besonders geschehen, wodurch der Mensch Gott diejenige Pflicht abstattet, die ihm unmittelbar gebührt. Und gleich wie Gehorsam besser ist, als Opfer; deshalb ist auch kein Opfer angenehm, als ein solches, das nach dem Willen dessen, dem es dargebracht wird, geschieht. Weil es aber den Menschen viel leichter fällt, nach ihrem Eigenwillen zu opfern, als Gottes Willen zu gehorchen, so haben sie Opfer ohne Gehorsam gehäuft. Und da sie Gott zu betrügen vermeinen, wie sie es einander selbst machen, so leisten sie ihm einen Schein äußerlicher Verehrung, Andacht und Anbetung, da sie doch immittelst innerlich von seinem heiligen und gerechten Leben entfremdet, und die reinen Eingebungen seines Geistes, worin das angenehme Opfer und der wohlgefällige Gottesdienst allein dargebracht wird, ihnen ganz und gar unbekannt sind. Daher kommt es, daß fast kein einziges Stück, was des Menschen Pflicht gegen Gott anlangt, unter allen Sekten und Haufen mehr verfälscht und geschändet worden, und worin es der Teufel weiter gebracht hätte, als er der Menschen Gemüter hierinnen betört. Und gleichwie sich dieses unter vielen andern Völkern ereignet hat; deshalb ist auch unter denen, die sich Christen nennen, nichts so sehr in Unordnung geraten und verderbt worden, wie einige Papisten und alle Protestanten bekennen. Gleichwie ich nun alles von Herzen billige, was die Protestanten in diesem Stück von dem Papistischen Sauerteig ausgesagt haben; deshalbwill ich mich für jetzt nicht in ihre deswegen geführte Streitigkeiten mengen. Nur ist mir genug, denjenigen abscheulichen Aberglauben und diejenige grobe Abgötterei, so mit der Papstichen Messe, der Anrufung der Heiligen und Engel der Verehrung der Reliquien, Besuch der Gräber, und allen denjenigen andern abergläubischen Zeremonien, Brüderschaften, und unendlichen Pilgerschaften oder Wallfahrten der Römischen Synagoge getrieben wird, als kein Stück des wahren Gottesdienstes, mit ihnen zu leugnen. Welches alles die Protestanten sattsam überzeugen mag, daß der Anti-Christ hieran mehr gearbeitet hat, als an irgends einem andern Stück der Christlichen Religion. Daher liegt ihnen ob, desto genauer zu betrachten, ob hierinnen eine rechte und vollkommene Reformation vorgegangen sei, als worin der zwischen uns und ihnen streitige Punkt besteht. Denn wir befinden, daß zwar viele Äste von ihnen abgehauen worden, allein die Wurzel ist noch übrig geblieben; nämlich ein Gottesdienst, der in und aus des Menschen Willen und Geist, und nicht durch und von dem Geist Gottes geschieht. Denn der wahre Christliche und geistliche Gottesdienst ist so zeitlich verloren gegangen, und des Menschen Weisheit und Willen hat sich so geschwind und durchgehend darein gemischt, daß beides der Abfall in diesem Stück am gröbsten und größten, und folglich auch die Reformation und Verbesserung wegen der bösen Wurzel, desto schwerer gewesen. Daher wolle sich der Leser nicht gleich an demjenigen, was in unserm Satz hiervon gemeldet worden, stossen, sondern uns mit Geduld anhören, wie wir uns hierinnen erklären. Da ich denn durch den Beistand Gottes klar dazutun hoffe, daß, obschon unsere Redensart und Lehre ganz sonderbar und von allen andern Arten der Christen unterschieden zu sein scheint, solche dennoch mit der reinsten Christlichen Religion am genauesten überein kommt, und gewiss höchst nötig ist, und allerdings verdient, in Betrachtung gezogen, und des Beifalls gewürdigt zu werden. Und damit man keine Ursache zu einigem Missverstand habe, (weil ich mich in dem Satz selbst mit wenig Worten ausdrucken musste, und es daher nicht so klar und auf keine so unzweifelhafte Weise so tun konnte) so ist vor allen Dingen nötig, unsern Sinn und Meinung anzuzeigen, gen, und zu erläutern, und den starum controversiæ, oder worin der streitige Punkt eigentlich besteht, zu erörtern, und fest zu stellen.