7.2
Bearbeitungsstand
Daß diese Lehre von der Rechtfertigung in der Römischen Kirche gewaltig verfälscht worden, und noch ist, wird von uns gar nicht in Zweifel gezogen. Obschon unsere Widersacher (welche, aus Mangel besserer Beweise, öfters ihre Zuflucht zu Lügen nehmen) kein Bedenken tragen, uns, in Ansehung dessen, mit Päpstlern zu beschmitzen, mit was vor Wahrheit aber, wird hiernach erhellen. Denn von ihrem Merito ex condigno oder Verdienst der Mitwürdigkeit, welches sonder Zweifel, besonders vor luthers Zeit, eine sehr verbreitete Lehre der Römischen Kirche war, will ich eben nicht viel sagen; obschon die meisten neueren Seribenten 1 unter ihnen, zumal in ihren Streitigkeiten mit den Protestanten, solches zum Teil leugnen, zum Teil solchem ein Mäntelchen umzuhängen versuchen, und die Sache deshalb einzufädeln scheinen, als ob sie nur Fortpflanzer und Verteidiger der guten Werke waren, welche von dem andern Teil geleugnet werden. Jedennoch, wenn man die Wirkung dieser Lehre unter ihnen ansieht, wie sie sich bei den meisten Gliedern ihrer Kirche, und zwarnicht in Dingen, die missbilligt, sondern von ihrem Vater Papst und allen seinen Anhängern, als die allereinträglichste Fundgrube seiner Schatzkammer, aufs höchste gebilligt und angepriesen werden, zu äusseren pflegen, so werden wir befinden, daß sich ihnen Luther in dieser Sache nicht ohne guten Grund widersetzt habe. Und wenn er nicht wiederum auf eine andere Art zu weit gegangen wäre, (wovon hernach) so würde seine Sache besser gestanden haben. Denn sowohl in diesem, als in den meisten andern Stücken, ist er mehr wegen derjenigen zu loben, was er von Babel niedergerissen, als wegen desjenigen, was er selbst wieder aufgebaut hat. Die Katholiken mögen demnach sagen, was sie wollen, oder es mögen auch einige fromme Leute unter ihnen keine so übeln Gedanken gehegt haben, so weist doch die Erfahrung aus, und es ist durch, die allgemeine und gewöhnliche Lebensart ihres Volks mehr als zu offenbar, daß sie ihre Rechtfertigung nicht so wohl in Werken setzen, die wirklich und nach der Sittenlehre gut sind, oder in der wahren Erneuerung und Heiligung ihres Gemüts, als vielmehr in solchen Dingen, die weder gut noch böse sind, oder wohl gar mit Recht böse können genennt, und auf keine andere Weise vor gut gehalten werden, als weil sie der Papst deshalb zu nennen beliebt. Also, daß, wenn man die Sache genau untersucht, man befinden wird, der größte Teil ihrer Rechtfertigung gründe sich auf das Ansehen seiner Bullen, und nicht auf die Kraft, Macht und Gnade Christi, die sich im Herzen offenbart und solches erneuert; wie bald erhellen wird, und zwar erstens aus der Lehre ihrer Sakramenten, welche, wie sie sagen, ex Opere operato2, oder wegen Beobachtung des bloßen äußerlichen Werks, Gnade verleihen. Daß, wenn ein Mensch derselben rur teilhaftig werde, er dadurch Vergebung der Sünder erhalte, ob er schon bleibt, wie er vorher gewesen; weil die Kraft der Sakramenten den Mangel, der sich am Menschen befindet, ersetze. Daß demnach dieses Werk der Unterwürfigkeit und des Glaubens, wodurch er sich den Gesetzen der Kirche gemass zeige, und nicht eine wahre innerliche Veränderung dasjenige ist, so ihn rechtfertigt. Wenn zum Beispiel, wenn ein Mensch das Sakrament der Busse (wie sie es nennen) gebraucht, so, daß er seine Sünden einem Priester her erzählt, ob er schon keine wahre Konstitution oder Zerknirschung (die doch der Heiland vor bußfertige Sünder unumgänglich, gemacht) darüber hat, wenn er nur Attrition oder Reue (ein Gedicht ihres eigenen Gehirns) empfindet, das ist, wenn ihm nur ein wenig leid ist, daß er gesündigt, nicht aus einer wahren Liebe zu Gott und seinen Geboten, die er übertreten hat, sondern aus Furcht vor der Strafe; so bringt ihm dennoch die Kraft des Sakraments (ihrem Vorgeben nach), Vergebung der Sünden hervor; daß er deshalb, so bald er vom Priester losgesprochen ist, vor Gott angenehm und gerechtfertiger dar steht. Dieses Menschen Rechtfertigung kommt demnach nicht daher, iaß er wahrhaftig büsfertig ist und durch die Wirkung der Gnade Gottes in seinem Herzen in einiger Massen innerlich verändert und erneuert worden; sondern sie rührt bloß von der Kraft des Sakraments und der Gewalt des Priesters her, der ihn für losgesprochen erklärt. Das deshalb seine Rechtfertigung von etwas herrührt, daß ausser ihm, nicht aber in ihm ist. Zweitens wird dieses noch mehr erhellen aus ihren Indulgenzen 3 und Ablass, allwo die Vergebung aller Sünden, nicht nur vergangener sondern auch zukünftiger Jahre Sünden, der Besuch dieser oder jener Kirchen und Heiligtümer, oder der nachsprechen dieser oder jener Gebete angehängt ist; so, daß derjenige, der dieses tut, alsbald von der Schuld seiner Sünden befreit und in den Augen Gottes gerechtfertigt und angenehm ist. Als zum Beispiel, wer
im großen Jubel Jahr nach Rom geht und sich vor die Pforte Petri und Pauli hinstellt, und daselbst des Papstes Seegen empfängt; oder wer als ein Pilger eine Wallfahrt nach St. Jacobs Grab in Spanien, oder nach dem Marien: Bilde zu Loresto anstellt, dem wird auf bloße Vollziehung dieser Dinge Vergebung der Sünden verheißen. Wenn wir sie nun um die Ursachen fragen, wie solche Dinge, die doch an sich selbst nicht sittlich gut sind, eine solche Kraft haben? so wissen sie keine andere Antwort darauf zu geben, als wegen des Ansehens und der Gewalt der Kirchen und des Papstes, welcher, als der Ober-Schatzmeister von der Vorratskammer der Verdienste Christi, solche mit diesen oder jenen Bedingungen austeilt. Also wird auch die Erfindung des Meß-Lesens zu einem vornehmen Werkzeug der Rechtfertigung gemacht. Denn darinnen vermeinen sie Christus, als ein Sühneopfer für die Sünden der Lebendigen und der Todten, dem Vater täglich aufzuopfern. Dergestalt, daß einer vor Geld verschaffen kan, daß Christus für ihn aufgeopfert wird, wenn er es verlangt, und er durch dieses Opfer vergebung der Sünden erhält und in den Augen Gottes gerechtfertigt wird, wie sie sagen. Aus diesem allen, und dergleichen noch vielmehr, so angeführt werden könnte, erhellt sattsam, daß die Katholiken ihre Rechtfertigung nicht so wohl in einigein Werk der Heiligkeit, so wirklich in ihnen hervor gebracht wird, und in wirklicher Verlassung ihrer Ungerechtigkeit, als in der bloßen Vollziehung gewisser Zeremonien und in einein blinden Glauben, den ihre Lehrer in ihren gezeugt, setzen, daß die Kirche und der Papst, als welche die unumschränkte Ausspendung der Verdienste Christi hätten, macht haben, diese Verdienste zur Vergebung der Sünden und Rechtfertigung derer, so diese Zeremonien verrichten wollen, kräftig zu machen.
Dieses ist die wahre und wirkliche Lehrart der Rechtfertigung, wie sie von den meisten der Römischen Kirche gehalten, und von ihren öffentlichen Predigern, besonders den Mönchen in ihren Predigten, so sie an das Volk halten, davon ich selbst ein Zeuge bin, der es mit Ohren gehört und mit Augen gesehen, aufs höchste angepriesen und herausgestrichen wird: So sehr es auch einige von ihren neueren Seribenten 1 in ihren Streitigkeiten zu mildern und herum zu drehen suchen. Luther und die Protestanten hatten demnach, allerdings gute Ursache, diese Lehre zu verwerfen und sich derselben zu widersetzen; obschon viele unter ihnen der Sache wiederum auf eine andere Weise zu viel taten, wenn sie leugneten, daß die guten Werke zur Rechtfertigung nötig waren, und nicht nur Vergebung der Sünden, sondern auch Rechtfertigung, allein durch den Glauben ohne alle Werke, so gut sie auch immer sein möchten, anpredigten; daß deshalb die Menschen ihre Rechtfertigung nicht erlangen, nachdem sie innerlich geheiligt und erneuert sind; sondern bloß dadurch gerechtfertigt werden, wenn sie glauben, daß Christus für sie gestorben sei. Und solcher Gestalt möchten einige vollkommen gerechtfertigt werden, ob sie schon in grober Gottlosigkeit liegen bleiben, wie aus Dem Beispiel Davids erhelle, welcher (sprechen sie) vollkommen gerechtfertigt gewesen, weil er in den groben Sünden des Todschlags und Ehebruchs lag. Gleichwie demnach die Protestanten genügsame Ursache haben, die Katholiken wegen der vielen Missbräuche, so bei dem Artikel der Rechtfertigung vorgeben, zu widerlegen und zu bestreiten; wenn sie ihnen zeigen, wie sehr die Lehre Christi dadurch geschändet und über den Haufen geworfen, und das Wort Gottes durch die vielen und unnützen Menschen gemachten Regeln vernichtet, die Gebote Gottes hinten angesetzt, und hingegen törichte und unnötige Zeremonien, aus einer falschen Einbildung, als ob man durch, Vollziehung derselben gerechtfertigt würde, vorgezogen und beobachtet, und das Verdienst und Leiden Christi, (welches das einzige Opfer ist, so Gott zur Vergebung der Sünden verordnet hat,) durch ein tägliches Opfer, so niemals von Gott befohlen, sondern hauptsächlich aus Geiz, Geld dadurch zu erlangen, ersonnen worden, entkräftet und verkleinert werden: Also haben sie hinwiederum, da sie die Lehre von der Rechtfertigung nicht mit solcher Richtigkeit, als sie in der Schrift enthalten ist, vorgetragen und bestätigt haben, den Katholiken eine Tür eröffnet, sie zu beschuldigen, als ob sie Verachter der guten Werke, Feinde der Fleisches-Züchtigung und Heiligkeit, und solche Leute waren, die sich vor gerechtfertigt hielten, weil sie noch in großen Sünden dahin gingen. Durch diese und dergleichen Beschuldigungen (wo zu die Schriften einiger strengen Protestanten nur allzu viele Gelegenheit gegeben,) ist die Reformation, oder unternommene Reinigung der Kirchen von den eingerissenen Missbräuchen, gar sehr ausgeschrien und verhindert, und manche Seele durch die herschenden Irrtümer verstrickt worden. Da doch ein Unparteiischer, der die Sache genau untersuchen will, befinden wird, daß diese Streitigkeiten mehr implizit als allgemein bestehen, und es beiderseits endlich auf eins hinausläuft, gleichwie ihrer zwei, die in einem Zirkel oder Kreis herumgehen, dennoch zuletzt in einerlei Mittelpunkt wieder zusammen kommen.
Denn was die Katholiken anbetrifft, so sprechen sie, sie erlangen die Vergebung der Sünden, und werden gerechtfertigt durch das Verdienst Christi, wenn ihnen solches in dem Gebrauch der Sakramenten der Kirche zugeeignet, und in der vollbringung dieser und jener Zeremonie, als in Wallfahrten, Gebeten und Beobachtung mitgeteilt werde; obschon keine innerliche Erneuerung des Gemüts vorgebe; noch auch Christus innerlich erkannt wurde, und eine Gestalt gewinne, so würden dieselben dennoch erlassen, und sie gerecht gemacht ex opere operato 2, wegen der Kraft und Gewalt, so den Sakramenten, und denen, die solche ausspenden, verliehen worden.
Die Protestanten sagen, daß sie durch das Verdienst und Leiden Christi Vergebung der Sünden erlangen, und vor Gott gerechtfertigt werden, nicht durch Eingissung der Gerechtigkeit, sondern durch Vergebung ihrer Sünden, und dadurch, daß er (Gott) sie als gerecht achte und annehmen indem sie sich durch den Glauben auf ihn und seine Gerechtigkeit verlassen, so werde ihnen solcher Glaube, nicht als das Werk des Glaubens, zur Gerechtigkeit zugerechnet.
Also wird die Rechtfertigung allhier von seinem Teil in einer innerlichen Erneuerung des Gemüts gesetzt, oder durch eine geistliche Geburt und Gestaltung Christi in ihnen erlangt; sondern nur durch eine bloße Zueignung des Todes und Leidens Christi, so äußerlich vor sie geleistet worden; da der eine Teil sich an einen Glauben hält, und dadurch allein gerechtfertigt zu werden hoffen, der andere durch sprechen einiger äußerlichen Gebete und Zeremonien, die ihnen ihrer Meinung nach, den Tod Christi kräftig maden. Ich nehme hier aus, (weil ich keineswegs gesonnen bin, jemand unrecht zu tun,) was von der Notwendigkeit der innerlichen Heiligung so wohl von einigen neueren Katholiken, als auch von einigen Protestanten, vorgebracht worden, welche so fern sie sich bemüht, eine Mittelweg zwischen diesen zwei äussersten Abwegen zu treffen, der Wahrheit einiger Mässen naher kommen sind, wie aus einigen aus denselben angeführten Stellen, deren hiernach Meldung geschehen soll, erhellen wird. Ob schon diese Lehre (so viel ich jemals davon anmerken können,) seit der Zeit des Abfalls niemals so deutlich und klar, nach dem Zeugnis der Schrift, vor Augen gestellt worden, als es durch gnädigen Wohlgefallen Gottes an diesem Tag durch die Zeugen seiner Wahrheit, die er zu diesem Ende erweckt hat, offenbart, und gepredigt wird. Und obschon diese Lehre in dem Satz selbsten kürzlich enthalten und vorgestellt ist; so will ich doch den ftatum controversiæ, oder was es mit der Streitfrage zwischen uns und denen, die sich uns widersetzen, eigentlich vor eine Beschaffenheit habe, ein wenig umständlicher erklären.
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Seribenten, eine angesehene Person, Bürgermeister, Justizrat, Priester etc. ↩︎ ↩︎
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heißt: Etwas wirkt unabhängig von der Einstellung dessen, der es tut, und unabhängig von der Einstellung dessen, an dem und für den es getan wird. ↩︎ ↩︎
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Indulgentia (lateinisch für „Nachsicht“) ist ein Straferlass, in der Theologie vor allem der römisch-katholischen Kirche ein Nachlass zeitlicher Sündenstrafen des Empfängers eines solchen Gnadenaktes. ↩︎