Apologie von Robert Barclay in der Übersetzung von 1776

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Was das erste anlangt, so will ich mich in die mancherley spikfindigen Meinungen, welche viele von des Ádams Zustande vor dem Fall begen, keineswegs vertiefen. Genug, daß darinnen alle einig sind, daß er sich dadurch nicht nur aller Glückseligkeiten des äußerlichen Menschen verlustig gemacht, sondern auch in Ansehung der wahren Gemeinschaft, und vertrauten Umgangs, so er mit Gott gehabt, in den erbärmlichsten Zustand verseket. Dieser unschägbare Verlust, den er dadurch erlitten, war ihm schon in dem göttlichen Befehl vorher angedeutet worden: Denn welches Tages du davon isfest, wirst du des Todes sterben, 1 Buch Mose. 2,17. Dieser Tod konnte kein äuseerlicher Tod, oder die Auflssung des äusserlichen Menschen sein. Denn was den leiblichen Tod betraf, starb er erji viele hundert Jahre hernacy. Daß es sich deshalb notwendig auf sein geistliches Leben und auf seine Gemeinschaft mit Gott beziehen muß. Die traurige Folge dieses Falls wird nebsi dem, was die Früchte der Erden anlangt, im 1. Buch Mose. 3,24. gleichfalls ausgedruckt, wenn es heisst: Also trieb er den Menschen aus, und lagerte am Osten des Garten Eden Cherubinen, mit einem flammenden Schwerdt, welches überall hinreichte, den Weg zum Baum des Lebens zu bewahren. Was für eine buchtäblidhe Bedeutung nur dieses auch haben mag, so mögen wir doch diesem Paradieß sicherlich einen Geheimnisvollen Verstand zuschreiben, und solches mit Wahrheit für diejenige geistliche Gemeinschaft und Vertraulichkeit halten, welche die Heiligen durch Jesus Christus mit Gott erlangen. Welchem allein diese Cherubinen weichen, und so viele als durch ihn eingeben, weil er sich selbst die Tür nennt. Ob wir nun schon den Menschen nicht das geringste von des Adams Schuld zuschreiben, bis sie solche durch dergleichen Werke des Ungehorsams ihr eigen machen oder auf sich laden; so können wir doch auch nicht darfür halten, daß die Menschen, welche ihrer Matur nac) von Adam herstammen, etwas Gutes in ihrer Natur hätten, so derselben eigen sei: Als welches er, von dem sie ihr Wefen herleiten, selbst nicht hatte, und deshalb ihnen solches auch nicht mitteilen konnte.

Wenn wir denn nicht bejahen können, daß Adam in seiner Natur einigen Willen oder einiges Licht behalten, so derselben eigen, oder vermögend gewesen, ihm wahre Erkenntnis in geistlichen Dingen mitzuteilen; so kan dergleiden bei seinen Nachkommen auc, nicht anzutreffen sein. Denn wenn ja ein Mensch wirklich etwas Gutes tut, so rúhret solches nicht von seiner Natur her, so ferne er ein Mensd), oder der Sohn Adams ist; sondern von dem Samen Gottes, der als eine geistliche Heimsuchung des Lebens in ihm ist, um ihm aus diesem natürlichen Zustand hinaus zu helfen. Also, daß es zwar in ihm, dennoch aber nicht von ihm ist. Und dieses bezeugt der Herr selbst, 1. BUch Mose 6,5. allwo gesagt wird, der Herr sabe, daß alles Tichten und Trachten ihres Herzens nur böse war immerdar. Diese Worte sind überaus nachdrücklich, und begreifen sehr viel in sich. Sehe doch an die Bündigkeit derselben: zu erst steckt ein besonderer Nachdruck in den Worten, alles Tichten und Trachten, (eine jede Einbildung der Gedanken) seines Kerzens. Also, daß dieses keine Ausnahm einer einzigen Einbildung der Gedanken seines Herzens zulässet. Zweitens, ist nur böse immerdar. Es ist nicht nur in irgends einem Teil böse immerdar; noch auch nur bisweilen oder zu manchen Zeiten böre; sondern es isi nur böse, und zwar böse immerdar, und ohne Unterlaß bose: Welches gewisslich alles Gute, als eine eigene und natürliche Wirkung des menschlichen Herzens, ausschlieset. Denn dasjenige, so nur böse, und zwar immerdar oder allewege böse ist, das kann seiner eigenen Natur nach nichts Gutes hervor bringen. Der Herr drucket diesses ein wenig hiernach wiederum aus, Cap. 8,21. Das Tichten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Dieses gebietet zu erkennen, wie natürlich und eigenthümlid, ihm solches sei. Woraus ich folgenden Schluß abfasse:

Wenn die Gedanken (oder das Tichten und Trachten) des menschlichen Herzens nicht allein nur böse, sondern auch noch dazu immerdar böse sind, so können solche, wie sie bloßer Dings aus seinem Herzen hervor kommen, weder zum Teil, noch auch zu einiger Zeit oder jemals gut sein.

Nun ist aber das erste gewiss. Also auch das letzte.

Wenn des Menschen Gedanken immerdar bose, und zwar nur böre sind, so kann er sie in göttlichen Dingen ganz und gar zu nichts gebrauchen.

Nun ist aber das erste wahr. Deshalb auch das letzte.

Zweitens, erhellt dieses auch klárlich aus den Worten des Propheten Jeremia, Cap. 17,9. (nach der Englisden Übersekung,) Das Herz ist betrüglich über alle Dinge, und recht verzweifelt Gottlos. Denn wer kann sich mit einigem Schein der Vernunft einbilden, daß dasjenige, welches deshalb beschaffen ist, von sich selbst einiges Vermögen habe, oder auf einigerley Weise geschickt sei, einen Menschen zur Gerechtigkeit zu feiten, welcher es von Natur vielmehr gerade entgegen ist. Dieses läuft der Vernunft eben so sehr zuwider, als unmöglich es in der Natur ist, daß ein Stein aus eigener Kraft und Bemegung sich aufwärts bewegen sollte. Denn gleichwie ein Stein, seiner eigenen Natur nach, geneigt ist, sich niederrárts, gegen den Mittelpunkt zu, zu bewegen; deshalb ist auch des Menschen Herz von Natur zum Höfen geneigt, eins zu diesem, und das andere zu jenem. Hieraus mache ich denn auch folgenden Schluß:

Dasjenige, was betrüglich ist über alle Dinge, und recht verzweifelt Gottlos, ist weder geschickt noch vermögend, einen Menschen in demjenigen, was gut und löblich ist, recht zu leiten.

Nun ist aber des Menschen Herz so beschaffen; Deshalb etc.

Der Apostel Paulus beschreibt des Menschen Zustand nach dem Fall weitläuftig, Róm. 3, 10. und nimmt die Worte aus dem 14. und 53. Ps. Da ist nicht der gerecht sei, auch nicht einer, da ist nicht der verstandig sei, da ist nicht der nach Gott frage. Sie sind alle abgewichen, und allesamt untüchtig worden. Da ist nicht der Gutes thue, auch nicht einer. Ihr Schlund ist ein offenes Grab, mit ihren Jungen handeln sie trüglich: Otterngift ist unter ihren Lippen. Jhr Mund ist voll Fluchens und Bitterkeit, ihre Fuse sind eilend Blut zu vergiesen. In ihren Wegen ist eitel Unfall und Herzeleid, und den Weg des Friedens wissen sie nicht. Es ist keine Furcht Gottes für ihren Augen. Was kann ausdrückliders gesagt werden? Es scheint der Apostel besonders forgfältig zu fenn, zu verhüten, daß dem natürlichen Menschen ja nichts Gutes zugeschrieben werden möchte. Denn er zeigt mie derselbe beflect sei in allen seinen Wegen. Er zeigt, wie er ohne Gerechtigkeit, ohne Verstand, und ohne Erkenntnis Gottes ist. Er zeigt, wie tief er in die Frre gerathen, vom rechten Weg abgewichen, und mit einem Wort, ganz untüchtig und unnúße sei. Was könnte doc), zu Bekräftigung unserer Meinung, deutlicher und völliger ausgedruckt werden? Denn wenn dieses der Zustand des natürlichen Menschen, oder des Menschen ist, wie es in und nach dem Fall mit ihm steht, so ist er nicht geschickt auch nur einen rechten Schritt nach dem Himmel zu tun.

Wolte man einwenden, daß dieses nicht von dem Zustand des Menschen überhaupt; sondern nur von einigen Menschen insbesondere gesagt werde, oder daß zum wenigsten nicht alle darunter begriffen wären;

So zeigen die Worte, in den fürhergehenden Versiculn, gerade das Gegentheit, wo sich der Apostel, seinem natürlichen Zustand nach, selbst nicht ausschliefet. 1 Was sagen wir denn nun? spricht er. Haben wir einen Vorteil? Gar keinen. Denn wir haben droben bewiesen, daß beide Juden und Griechen alle unter der Sünde sind. Wie denn geschrieben steht etc. Worauf er weiter fortfábret. Woraus denn mehr als zu deutlich erhellt, daß er von dem menschlichen Geschlecht insgemein rede.

Wenn sie entgegen seßen, was der Apostel in dem fürhergehenden Kapitel, v. 14. sagt: Daß die seiden von Natur des Gesetzes Werk tun, und deshalb folglich von T7atur das tun, was in den Augen Gottes gut und angenehm ist:

So antworte ich, diese Natur kann unmöglich von des Menschen eigener Patur, die verderbt und gefallen ist, verstanden werden. Sondern sie muß von der geistlichen Natur zu verstehen sein, welche von dem Samen Gottes im Menschen berrührt, da sie eine neue Heimsuchung der Liebe Gottes empfabet und dadurch lebendig gemacht wird. Welches die folgenden Worte klar zu erkennen geben, wenn er spricht: Dieselben, dieweil sie das Gesetz (nämlich äußerlich) nicht haben, sind sie ihnen selbst ein Geles, damit, daß sie beweisen, des Gesetzes Werk sei beschrieben in ihren Herzen. Diese ihre Werke sind demnach eine Wirkung des in ihrem Herzen beschriebenen Gesetzes. Nun bezcuget aber die Schrift, daß die Beschreibung des Gesekes im Herzen ein Stück, und zwar ein hauptsächliches Stück der Wohltaten und Gnaden-Gaben des neuen Bundes, und deshalb keine Folge, und kein Stück von des Menschen Natur sei.

Vors andere, wenn diese Natur, von welcher hier die Rede ist, von des Menschen eigener Natur, die er als ein Mensch an sich hat, könnte verstanden werden; so würde sich der Apostel, auf eine unvermeidliche Weise selbst widersprechen. Zumal er an einem andern Ort ausdrücklich sagt, daß der natürliche Mensch nicht vernimmt, was Gottes ist, könne es auch nicht erkennen. Nun meyne ich aber, das Gesetz Gottes gehöre auch mit unter dasjenige, was Gottes ist; besonders wie es in das Herz geschrieben ist. Der Apostel sagt im 7 Cap. eben dieser Epistel, v. 12. Daß das Gesets heilig, gerecht und gut sei. Und v. 14. Daß das Gesetz geistlich sei, er aber sei fleischlich. Nun, in was für einer andern Betrachtung ist er sonst fleischlich, als jo ferne er in dem Fall steht und noch unwiedergeboren ist? Was für eine ungereimte Widersprechung würde heraus kominen, wenn man hier sagen wolte, daß er zwar fleischlich wäre, dennoch aber nicht von Natur; da cr doch eben seiner Natur wegen deshalb genennt wird ? Wir sehen ja, daß der Apostel das Gesetz, als etwas geistliches, von des Menschen Diatur, die Fleischlich und sündhaft ist, unterscheidet. Daher, gleichwie man, nach Christi Ausspruch, 2 keine Trauben lesen kann von den Dornen, oder Feigen von den Disteln; deshalb kann anch die Erafüllung des Gesetzes, welches geistlich, heilig und gerecht ist, nicht von derjenigen Natur erwartet werden, die gefallen, und nach dem Fall verderbt und unwiedergeboren ist. Deshalb wir mit gutem Grund hieraus schließen mögen, daß die Natur, vermöge deren die Heiden des Gesetzes Werk getan haben, nicht die gemeibene Natur der Menschen; sondern diejenige geistliche Narur gewesen sei, welche aus den Werken des gerechten und geistlichen Gesetzes, das in dem Herzen beschricben, entstanden. Ich gestehe, daß diejenigen, so auf dem andern Abweg zu weit gehen, wenn sowohl von den Socinianern und Pelagianern, als auch von uns, (wenn wir sie durch diese Schrift-Stelle zu überzeugen suchen, wie einige von den Heiden, durch das Licht Christi in ihren Herzen, haben können selig werden) mit diesem Zeugnis scharf auf sie gedrungen wird, ihre Antwort dicle sein lassen: Es waren noch Überbleibsel des göttlichen SËbenbilds in Adam zurück gelassen worden, wodurch die seiden ein und die andern guten Werke verrichten können. Gleichwie aber solches ohne Beweis ist; deshalb widersprichts auch demjenigen, was anderseits von ihnen behauptet wird, und gieber ihre Sache verloren. Denn wenn diese Überbleibfel vermögend waren, sie fähig zu machen, das gerechte Geset Gottes zu erfüllen, so hebt solches die Notwendigkeit der Zukunft Christi auf, oder lasset ihnen zum wenigsten einen Weg, ohne ihm selig zu werden. Sie wolten den sagen, (welches aber noch ärger ware) ob sie schon das gerechte Gesetz Gottes wirklich erfüllt, so hatte sie Gott dennoch wegen Ermangelung solcher besondern Erkenntnis verdanimet, da er ihnen selbst alle Yiittel, wodurch sie zu ihm kommen können, vorenthalten. Hiervon aber hernacher.


  1. Rom. 3,9. ↩︎

  2. Matth. 7, v. 16 ↩︎