3.3
Bearbeitungsstand
Drittens, dasjenige, was den Christen zu einer Regel oder Nichtschnur, zu einem Wegweiser und Führer gegeben ist, das muß notwendig so vollkommen sein, daß es klar und deutlich zeige, und sie leite und regiere, wie sie sich in allen Dingen und bei allen vorfallenden Begebenheiten verhalten sollen.
Nun kommen aber, in Ansehung ihrer Umstände, viel hundert Dinge vor, die diesen oder jenen Christen insbesondere angehen, weswegen keine besondere Regel in der Schrift gegeben isi.
Deshalb kann auch die Schrift ihre Richtschnur nicht sein.
Ích will nun diesen Satz zu beweisen zwei oder drey besondere Beispiel anfülrent. Es ist nicht zu zweifeln, daß dieser oder jener Mensdl, zu diesem oder jenem besondern Dienst, Almtoder Pricht berufen wird, wenn er Nun solchem Beruf nicht folgt, obschon die Sadje in keiner allgemeinen gebotenen Schuldigkeit be steht; so ist es doch, in so fern es von einem solchen erfordert mird, eine große Sünde, solche zu unterlassen. Denn da Gott über seiner Ehre hält, und ein jeglicher Unges horsam gegen seinen offenbarten Willen schon genug ist, einen nicht nur gar sehr an demjenigen Trojt und innerlichen Frieden, den er sonst geniesen möchte, zu verhindern, sondern auch so gar die Verdamıniß mit sich bringt; so muß dieses eine Sache sein, die aller- dings viel auf sich hat.
Zum Beispiel, einige werden zum Diensi des Worts berufen. Der Apostel Paulusspricht, ich muß das Evangelium predigen, und webe mir, wann ich es nicht thue und das Evangelium nicht pre: dige.
Wenn es nun nötig ist, daß jetzt noch sowohl als damals Kirchen-Diener sein müssen, so liegt auch einigen aus eben so unumgänglicher Notwendigkeit noch mehr ob, als andern, diese Stelle zu vertreten. Wie aber diese Notwendigkeit einem oder dem andern ingsbesondere obliegen mag, zeigt die Schrift nicht an, kan es auch unmöglich anzeigen.
Sollte man sagen, daß die ‘Eigenschaften, so von einem Kirchen-Diener erfordert werden, schon in der Schrift zu finden waren, und ich, wenn ich solche Eigenschaften auf mich ziehe, oder mich darnach untersuche, schon wissen könnte, ob ich zu einem solchem Amt tüchtig sei oder nicht:
So antworte ich, die Eigenschaften eines Bischofs oder Kirchen-Dieners, wie solche sowohl in der Epistel anden Timotheuin als Titum beschrieben werden, sind so beschaffen, daß sie bei einem Privat-Christen können gefunden werden, ja, so beschaffen sind sie, daß sie ein jeglicher wahrer Christ gerrisser Massen an sich haben soll. Daß deshalb dieses einem Menschen noch keine rechte Gewissheit gebietet. Die blose Fähigkeit zu einem Ams giebt mir deswegen nicht allezeit einen Beruf dazu.
Und nach was für einer Regel soll ich hiernebst urtbeilen, ob ich mit solchen Eigenschaften ausgerüstet bin? Wie weiß ich, daß ich nüchtern, fanftmüchig, heilig und unschuldig bin? Jit es nicht das Zeugnis des Geistes in meinem Gewissen, welches mich dessen versichert? Und gerektich wäre tüchtig und berufen, welche Regel in der Schrift rol mich aber unterrichten, ob meine Schuldigkeit erfordert, an diesem oder jenem Ort, in Frankreich oder Engeland, in Holland oder Deutschland zu predigen? Ob ich meine Zeit anwenden soll, die Gläubigen zu stärken, die Irrigen wieder auf rechten Weg zu bringen, die Unglaubigen zu bekehren, oder an diese oder jene Gemeine Briefe zu schreiben?
Die allgemeinen Reguin der Schrift, nämlich in meinem Beruf fleißig zu sein, alles zur Ehre Gottes und zum Nutz seiner Kirche zu tun, können mir kein genugsames Licht hierinnen geben. Angesehen zwei unterschiedene Dinge auf einen Zweck abzielen können, und dennoch kann ich einen großen Irrthum und eine große Sünde begeben, wenn ich das eine thue, da ich zudem andernberufen bin. Wenn Paulus, als sein Angesicht von dem Herrn gegen Jerusalem gerichtet wurde, zurück nach Achaien oder Macedonien gehen wollen, seiner Meinung nach, Gott einen angenelmern Dienst zu erweisen, wenn er den Gemeinen predigte, und sie in ihrem Glauben stärkte, als daß er sich in Judáa ins Gefängniß sperren liese, würde Gott damit zu frieden gewesen sein? Gewißlich nein. Gehorsam ist besser denn Opfer. Es ist nicht die blose Volstreckung dessen, was an sich selbst gut ist, so Gott gefället, sondern wenn wir dasjenige Gute tun, das er von uns will getan haben. Ein jedes Glied am Leibe hat seinen besondern Plat. Wie der Apostel 1. Cor. 12. herrlich zeigt. Wenn ich nun der Fuß wäre, und mich erbiethen wolte, das Geschäft der Hand zu verrichten; oder wenn ich Hand wäre, und das Werkzeug der Zungen abzugeben suchte, so würde mein Dienst nur verdrüßlich und nicht angenehm fallen: Und an statt dem Leibe behútflich zu sein, würde ich vielmehr eine Trennung daran anrichten. So, daß dasjenige, welches gut ist, wenn es ein andrer tut, mir, wenn ich es thue, zur Sünde gereichen kan. Denn gleichwie Herren in dieser Welt haben wollen, daß ihnen ihre Knechte so gehorchen, wie es ihnen gefállet, und nicht nur blindlings dasjenige tun, was ihrem Bedünken nach zu des Herrn Nutzen gereicht: Wobei es sich zutragen könnte, (wenn der Herr so wohl auf dem Felde als in dem Haufe Geschäfte zu verrichten hatte, daß der Knecht, der seines Herrn Willen nicht weiß,auf das Feld gienge, wenn des Herrn Meinung ist, daß er da bleiben, und das Geschäfte im Haus verrichten soll. Würde nicht dieser Knecht einen Verweiß verdienen, daß er seines Herrn Willen nicht nachgelebt habe? Und welcher Herr ist so unbesonnen und unachtsam, der viel Knechte hat, daß er sie in solcher Unordnung lässt, daß er nicht jedem seine besondere Verrichtung anweist, und nicht nur die allgemeinen Bedingungen, dasjenige zu tun, was núblich ist, welches sie in mancherley Ungewissheit lassen, und sich ohnfehlbar in Verwirrungenden würde.
Sollten wir denn nun Christo, bei Anordnung seiner Gemeine und Regierung seiner Knechte dasjenige beimessen dürfen, was bei Menschen billig für Unordnung und Verwirrung zu achten ware? Der Apostel zeigt diesen Unterscheid sehr wohl, Róm. 12,6.7.8. Und haben mancherley Gaben, nach der Gnade, die uns gegeben ist; hat jemand weissagung, so sei sie dem Glauben ähnlich; hat jemand ein Amt, so warte er des Amts; lehrt jemand, so warte er der Lehre; ermahner jemand, so warte et des Ermahnens. Was für eine Regel in der Schrift zeigt mir nun, daß es besser für mich sei, zu ermahnen, als zu weißsagen? Oder besser, zu dienen, als zu lehren? Gewißlich gar keine. Noch viele dergleichen Schwierigkeiten melir pflegen sich in dem Leben eines Christen zu ereignen.
Ja, was ihm zu missen am allerineisten nötig ist, ob er nämlich wirklich im Glauben stehe, und ein Erbe der ewigen Seligkeit sei oder nicht, darinnen kann ihm die Schrift keine Gewissheit erteilen, noch ihm auch zu einer Richtschnur dienen. Daß aber diese Erkenntnis ungemein erwünscht und tröstlich fevy, trird von allen einhellig zugestanden. Über dieses ist sie besonders geboten, 2 Cor. 13,5. Versucher euch selbst, spricht der Apostel, ob ihr im Glauben seid, prüfer euch selbst, oder erkennt ihr euch selbst nicht, daß Jesus Christus in euch ist, es sei denn, daß ihr untüchtig seid. Und in 2 Petr. 1,10. Darum, lieben Brüder, tut desto mehr Fleiß, euren Beruf und Erwählung fest zu machen. Nun frage ich, was für eine Schrift-Regel mich versichern kan, daß ich den wahren Glauben babe? Und daß meine Berufung und Erwählung gewiss sei?
Wolte man sagen, ich könnte solches erkennen, wenn ich die in der Schrift enthaltenen Kennzeichen des wabren Glaubens mit dem meinigen vergleiche.
So bitte ich, man wolle mir sagen, womit ich diese Anmerkung machen soll? Was kann mich versichern, daß ich mich nicht irre? Die Schrift kann es nicht sein. Denn hiervon ist eben die Frage, worüber wir sireiten.
Sollte man sprechen, mein eigenes Herz müsse solches tun.
O! was für ein gingeschickter Richter ist dieses, in seiner eigenen Sache! Und wie leicht kann es sich partheiisch erweisen, zumal wenn es noch nicht erneuert ist? bezeugt nicht die Schrift, daß es über alle masen sen betrüglich sei? Ich finde die Verheissungen, ich finde die Drohungen in der Schrift; wer sagt mir aber, daß mich, die einen mehr angehen als die andern? Die Schrift zeigt mir diese Dinge nur an, sie eignet mir aber solche nicht ins besondere zu; daß demnach die Annehmung oder Zueignung von mir feibit geschehen muß. Als zum Beispiel, ich finde diesen Satz oder Spruch in der Schrift: Wer da glaubt, der soll selig werden. Daraus ziehe ich nun ferner diesen andern Satz als eine Folge:
Ich Robert glaube, Daher soll ich selig werden.
Dieser zweite Satz ist von mir selbst abgefaßt, und in der Schrift nicht ausgedruckt, und deshalb ein menschlicher Schluß und kein göttlicher Ausspruch. Daß deshalb mein Glaube und Vertrauen auf keine Schrift-Worte, sondern auf menschliches Zeugnis gebauet ist; wenn ich nun dessen nicht wo anders her gewiss bin oder versichert werde, so giebt mir die Sdhrift keine Gewissheit in der Sache.
Wenn ich den Schluß noch weiter fortsetzen, und einen Gegen-oder Mittel-Satz aus der Schrift suchen wolte, so würde Doch eben diese Schwierigkeit wieder vorkommen, und zwar auf folgende Weise:
Wer die wahren und gewissen Kennzeichen des wahren Glaubens hat, der hat den wahren Glauben.
Nun habe ich aber diese Kennzeichen; deshalb
habe ich den wahren Glauben.
Denn die Annehmung (oder Zueignung) ist hier ebener massen meines eigenen Gemüts, und in der Schrift nirgends zu finden; daher folglid, der Schluß nicht bersser gerathen kan, weil derselbe allemal der schwächern Propofition oder dem Nachfas folgt.
Dieses ist gewiss so dringend, daß die Eifrigften unter den Protestanten, welche dieses Vertrauen behaupten, solches dem innerlichen Zeugnis des Geistes zuschreiben, (wie Calvinus in den bei vorigem Satz angeführten weitläuftigen Worten tut) in den Schriften der ersten Protestanten (die voller folder Redensarten sind,) nicht weiter nachzusuchen, so bekräftigt auch das West-Münsterische Glaubens: Bekenntniß, Cap.18. Sect. 12.
“Die Gewissheit ist nicht eine blosje Muthmassung und wahrscheinliche Beredung, die sich auf betrügliche Hoffnung gründet; sondern eine unbetrügliche Versicherung des Glaubens, so auf die göttliche Wahrheit der verheißenen Seligkeit gegründet ist: Auf die innerlichen klaren Beweisführung dieser Gnade, denen diese Verheifungen geschehen sind; auf das Zeugnis des Geistes der Kindschaft, so Zeugnis gebet unserm Geist, daß wir Gottes Kinder sind: Welcher Geist ist das Pfand unseres Erbteils, wodurch wir bis auf den Tag der Erlösung versiegelt werden.
Über dieses sagt die Schrift, worin wir so ernstlich angetrieben werden, nach dieser Gewissheit zu streben, selbst niemals, daß sie eine hinlängliche Richtschnur sei, dieselbe zu verleihen; sondern schreibt solche gänzlich dem Geist zu, als Róm, 8, 16, Der Geist selbst gebietet Zeugnis unserm Geist, daß wir Gottses Kinder sind, 1 Joh. 4,13. Daran erkennen wir, daß wir in ihm bleiben und er in uns, daß er uns von seinem Geist gegeben hat. Und Cap. 5,6. Der Geist ists, der da zeuget, dieweil der Geist Wahrheit ist.