3.2
Bearbeitungsstand
Denn ob wir schon die Bücher der H. Schrift für himmlische und göttliche Schriften erkennen; ob wir schon zugesthen, daß ihr Gebrauch der Kirche Christi sehr tröstlich und nötig sei; ob wir uns schon darüber verwundern, und den Herrn für seine wunderbare Fürsebung preisen, daß er diese Schriften, durch, eine so lange Nacht des Abfalls, so rein und unverfälscht erhalten, damit sie ein Zeugnis der Wahrheit, auch wider die Gottlosigkeit und Greuel derjenigen selbst sein möchten, deren er sich als Werkzeuge zu ihrer Erhaltung bedient: So, daß sie soldie bewahret, ein Zeuge wider, sie selbst zu sein; ob wir schon, sage ich, dieses alles zugestehen, so können wir sie doch nicht den gewichtigsten Haupt-Ouell aller Wahrheit und Erkenntnis noch auch die erste und richtigste Regeldes Glaubens und Lebens nennen, weil der gewichtigste Haupt-Quell die Wahrheit selbst sein muß, das ist, derjenige, dessen Gewissheit und Ansehen auf keinem andern berubet. Wenn wir wegen der Ströhme eines Flusses oder einer Flut ungewiss sind, so gehen wir nach der D.uelle selbst, imd wenn wir solche gefunden haben, so hören wir auf zu suchen, und können weiter nicht geben, weil sie daselbst aus dem Schooß der Erden, so unergründlich ist, hervorspringt. Eben auf solche Weise müssen wir die Schriften und Reden aller Menschen gegen das Wort Gottes, ich meyne das ewige Wort, halten, und wenn sie damit überein kommen, so beruben wir dabei. Denn dieres Wort geht allezeit und ewig von Gott aus, in welchem, und durch welches uns die unergründliche Weissheit Gottes, und der in seinem Herzen gefaßte unerforschliche Ratschluss und Wilie bekannt gemacht wird. Gleichwie nun aus vorbcsagtem erlellet, daß die Schrift nicht der fürnelymite Haupt:Grund des Glaubens und der Erkenntnis ist; deshalb wird solches in dem lektern Teil dieses Sabes nody ferner, und zwar durch folgenden Schluß bewiesen:
Dasjenige, dessen Gewissheit und Anfehen aufetwas anders beruhet, welches für die Wahrheit angenommen wird, weil es von einem andern herrührt, ist nicht für den gewichtigsten Hauptgrund und Ursprung aller Wahrheit und Erkenntnis zu halten.
Nun beruhet aber die Gewissheit und das Ansehen der Schrift auf dem Geist, durch welchen selbe eingegeben worden; und die Ursache, warum sie als Wahrheit angenommen wird, ist diese, weil sie vom Geist herrührt.
Deshalb kann sie der gewichtigste Hauptgrund der Wahrheit nicht sein.
Zu Bekräftigung dieses Schlusses füge ich die bekannte Schul-Regel bei, propter quod unumquodque eft rale, illud ipfum magis eft tale, dasjenige, um dessen Willen etwas ein solches ist, das ist an sich selbst noch viel mehr ein solches. Ob nun schon nicht zu leugnen siehet, daß diese Regel nicht allezeit und überall eintrift; so wird und kann sie doch in diesem Stück sehr wohl gelten und angehen; wie aus deren obberührter Massen gebrauchten Anwendung erhellen wird.
Eben dieser Schluß wird bei dem andern Punkt diees Satzes, daß sie nämlich nicht die erste und richtigste Richtschnur des Glaubens und Lebens ist, kräftig und gültig sein, und zwar folgender Gestalt:
Dasjenige, was nicht die Richtschnur meines Glausbens ist, wenn ich der Schrift selbst glaube, das ist auch nicht die gewichtigste und gewissefte Richtschnur des Glaubens und der Sitten.
Nun kann aber die Schrift die Richtschnur dieses Glaubens nicht sein, vermöge dessen id; ihr glaube; Deshalb etc.
Was nun diesen Punkt betrifft, werden wir hernach unterschiedene Beweisführung deswegen anführen. Daß aber der Geist, und nicht die Schrift, die Richtschnur sei, ist schon bei dem vorigen Satz weitläuftig abgehandelt, dessen inhalt ich in einen, und zwar folgenden Haupt-Schluß zusammen ziehen will. Wenn wir nur durch den Ocist allein zu der waliren Erkenntnis Gottes gelangen können: Wenn wir durch den Geist in alle Wahrheit geleitet, und deshalb alles gelehrt werden; so ist der Geist, und nicht die Schrift, der Grund aller Wahrheit und Erkenntnis, und die erste Regel und Richtschnur des Glaubens und Lebens.
Nun ist aber das erste gewiss; daher folglich auch das lezte.
Hiernächst gebietet die wesentliche Eigenschaft des Evangelium selbst zu erkennen, daß die Schrift nicht die einzige und gewichtigste Riegul der Christen sein kan, sonst würde zwischen Gesen und Evangelio kein Unterscheid sein. Wie aus der wesentlichen Beschaffenheit des neuen Bundes, so wir im vorigen Satz mit verschiedenen Schrift-Stellen beschrieben, bewiesen worden.
Über dieses so ist auch zwischen dem Gesetz und Evangelio noch dieser Unterscheid, daß das Gesetz, weil es nur auswendig geschrieben, die Verdammnis bringt, und kein Leben zur Seligkeit in sich hat. Da hingegen das Evangelium, weil es das Böse offenbart und anzeigt, eine innere Kraft ist, die auch vermögend macht zu gehorchen, und vom Bösen erlöst zu werden. Daher es denn auch Evalyénvoy, eine fröhliche Bottschaft, genennt wird. Das Gesetz oder der Buchstabe, so ausser uns ist, tödtet. Das Evangelium aber, welches das innerliche geistliche Gesezt ist, macht lebendig, (oder, gebietet Leben) massen es nicht sowohl in Worten als in der Kraft be steht. Daher diejenigen, die zu dessen Erkenntnis gelangen, und mit demselben (so zu sagen) bekannt werden, grössere Kraft zu Besiegungn ihrer Ungerechtigkeit überkommen und fühlen, als ihnen alle äußerlichen Gesete oder Regeln geben können. Daher der Apostel, Röm. 6,14. deshalb schlieset: Die Sünde wird nicht herrschen über euch, da ihr nicht unter dem Gesetze seid, sondern unter der Gnade. Diese Gnade demnach, die innerlich ist, und nicht das auswendige Gesetz, soll und muß der Christen Richtschnur sein. Dieser Gnade empfiehlet der Apostel die Aeltesten der Gemeine, wenn er in der Apost. Gesch. 20, 32. sagt: Und nun lieben Brüder, ich empfeble euch Gott und dem Wort seiner Gnaden, der da mächtig ist euch zu erbauen, und zu geben das Erbe unter allen, die geheiligt werden. Er empfiehlet sie hier nicht äußerliche Gesetzen und Schriften, sondern dem Wort der Gnaden, welches innerlich ist, nämlich, das geistliche Gesetz, so da frei macht, wie er anderswo bekräftigt, Röm. 8,2. Das Gesez des Geistes, der da lebendig macht in Christo Jesu, hat mich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes. Dieses geistliche Gefen war dasjenige, so der Apostel, seiner eigenen Versicherung nach predigte, und wozu er die Leute anwiese, welches nicht äußerlich war, wie aus Röm. 10,8. erhellt, wo er es von den Gesetz unterscheidet, wenn er sagt: Das Wort ist dir nahe, nämlich in deinem Munde, und in deinem Herzen. Diß ist das Wort vom Glauben, das wir predigen. Aus dem nun, was bis anhero gesagt worden, mache ich einen solchen Schluß:
Die gewichtigste Richtschnur der Christen unter dem Evangelio ist kein äußerlicher Buchstabe, noch auch ein äußerlich geschriebenes und überliefertes Gesez; sondern ein innerliches geistliches Gefetz, das ins Herz eingegraben ist, das Geres des Geistes, der da lebendig macht, das Wort, so nabe ist, in dem Herzen und in dein Munde.
Nun ist aber der Buchstabe der Schrift, äußerlich ein todtes Wesen an sich selbst, und eine blofse Anzeigung des Guten, nicht aber das Gute selbst:
Daher kann er die gewichtigste Haupt-Richtschnur der Christen unmöglich sein.