3.9
Bearbeitungsstand
Der letzte Einwurf, und welcher, dem ersten Ansehen nach, am wichtigsten zu sein scheint, ist dieser:
Wenn die Schrift nicht die richtigste, gewichtigste und einzige Richtschnur ist, so würde folgen, daß die Schrift nicht vollständig, noch auch der Canon oder die Regül erfüllt wäre. Und wenn die Menschen jetzt noch unmittelbar durch den Geist geleitet und regiert werden, so mögen sie neue Schrift hinzutun, so mit der alten in gleichem Ansehen steht. Da doch ein jeder, der etwas hinzu tut, verflucht ist. Ja, was für Versicherung haben wir, daß nicht auf diese Art ein jeglicher ein neues Evangelium, seiner eigenen Einbildung nach, einführen möchte?
Die gefährlichen Folgen; so in diesem Einwurf aufgezeigt werden, sind in dem letztem Teil des letzten Satzes, durch dasjenige, was nur kurz vorher gesagt ist, völlig beantwortet, da wir uns freiwillig erboten, alle fürgegebene Offenbarungen, die der Schrift entgegen sind, zu verwerfen.
Wolte man aber weiter einwenden, daß es nicht genug sei, diese Folgen zu leugnen, daß sie auf eine ganz ungezwungene Weise aus der Lehre von der unmittelbaren Offenbarung, und aus der Verneinung dessen, daß die Schrift die einzige Richtschnur sei, folgen:
So antworte ich, wir haben bewiesen, daß diese Lehren alle beide, und zwar nach der Schrift selbst, wahr und auch notwendig sind; ihnen demnach üble Folgen aufzuheften, welche, unserm klaren Beweis nach, nicht daraus folgen, heißt nicht uns, sondern Christus und seine Apostel, die solche gepredigt, beschuldigen.
Aber auch noch zum andern, so haben wir, in eben diesem Satz, gegen alle solche Folgerungen die Tür versperret, da wir behauptet, daß die Schrift allen Haupt-Lehren des Christlichen Glaubens ein völliges und weitläufiges Zeugnis erteilt. Denn wir gläuben festiglich, daß kein anderes Evangelium und keine andere Lehre zu predigen sei, als die uns von den Apojteln verküridiget und überliefert worden, und unterschreiben den Ausspruch von Herzen: So jemand ein ander Evangelium prediget, denn dasjenige, 1 welches von den Aposteln bereits geprediger worden, und in der Schrift enthalten ist, der sei verfluche.
Also machen wir einen Unterscheid zwischen der Offenbarung eines neuen Evangelium und neuer Lehren, und zwischen einer neuen Offenbarung des alten Evangelli und der alten guten Lehren. Das letzte vertheidigen wir, das erste aber leugnen wir gänzlich. Denn wir glauben festiglich, daß niemand einen andern Grund legen kan, als der bereits geleget ist. Daß aber diese Offenbarung nötig sei, haben wir bereits bewiesen; und dieser Unterscheid beschirmet uns wider die in dem Einwurf angedeutete Gefahr zur Genüge.
Was denjenigen Punkt anbetrifft, daß die Schrift ein erfüllter Canon, oder eine vollkominene Glaubens-Regel sei, so sebe ich keine Notwendigkeit, soldies zu glauben. Und daferne diese Leute, welche die Schrift für die einzige Regel halten, Hyrer eigenen Lehre nicht selbst widersprechen wollen, so múlten sie notwendig meinem Urtheit beipflichten. Mafen es schlechterdings unmöglich ist, den Canonem, oder das Regel-Riecht aus der Schrift zu beweisen. Denn es ist in keinem einzigen Buch der Schrift zu finden, daß diese Bücher, und eben diese, und keine anderen, canonisd) sind, wie alle zugestehen müssen; wie können sie denn nun diesem Schluß ausweichen oder solchen ablehnen?
Was nicht aus der Schrift bewiesen werden kan, das ist kein notwendiger Glaubens-Artikel.
Nun kann aber der Canon der Schrift, nämlich, daß gerade so viel Bücher, und zwar weder mehr noch weniger sind, nicht aus der Schrift bewiesen werden ;
Daher ist es auch kein Nothwendiger Glaubens-Artikel.
Wolte man aber anführen, daß, wenn man zugeben wolte, es könnten noch jetzt durch denselben Geist andere Bücher geschrieben werden, solches neue Lehren einführen würde;
So leugne ich die Folge. Denn das vornehmste, oder die Grund Lehren der Christlichen Religion sind auch im zehenden Teil der Schrift enthalten. Daher folgt aber nicht, daß die übrigen Bücher ungereimt oder unnúß sind. Wenn es Gott gefallen sollte, daß wir einiger von denjenigen Büchern, so durch die Verderbniss der Zeiten verloren gegangen, und deren in der Schrift Meldung geschieht, wieder habhaft werden könnten, als die Weissagung Enochs, das Buch Nathans etc. oder die dritte Episiel Pauli an die Korinther; so sehe ich keine Ursache, warum man solche nicht unter die übrigen aufnelinen und denenselben beizeiten sollte. Das mißfallet mir nur, daß man erstens behauptet, die Schrift sei die einzige gewichtigste Haupt-Regel, und hernach doch dasjenige zu einem großen Glaubens-Artikel macht, darinnen und die Schrift gar kein Licht geben kan.
Als zum Beispiel, wie will ein Proteftant denen, welche die Epistel Jacobi nicht für glaubwürdig und unverwerflich erkennen wollen, aus der Schrift beweisen, daß solche anzunelmen sei?
Wolte er sagen, weil sie der übrigen Schrift nicht widerspricht: (Denn ausser diesem wird deren fonjt nirgends mehr Erwähnung getan) so denken vielleicht diese Leute, daß sie Paulus in Ansehung des Glaubens und der Werke, widerspreche. Wenn aber dieses zugestanden werden sollte, so würde eben fowohl folgen, daß ein jedweder Scribent, der der Schrift nicht widerspricht, vor canonisch oder unfehlbar zu erklären sei. Und auf solche Weise fallen diese Leute in ein ungereimteres Versehen hinein, als sie uns aufzubürden suchen. Denn solchergejialt würde ein jeglicher von ihrer Secte seine Schriften der heiligen Schrift gleich machen. Masen sie, meines Erachtens, doch sonder Zweifel dafür halten werden, daß ihr Glaubens-Bekenntniß der Schrift nicht widerfpricht. Wird aber daher folgen, daß man solches der Bibel beifügen oder einverleiben müsse? Und gleichwohl scheint es, ihren Grundsätzen nach, unmöglich, einen bessern Beweis anzuführen, wenn man die Epistel Jacobi für unzweifelbar erklären will. Hier finden sie sich nun durch die unvermeidliche Notwendigkeit gedrungen, entweder zusagen, wir wissen es durch eben denselben Geist, von welchem sie geschrieben worden; oder sie müssen sich wieder nach Rom zurück wenden, und ihre Zuflucht zur Tradition nehmen, und sprechen, wir wissen es daher, weil sie die Kirche für canonisch erklärt hat. Nun kan aber die Kirche nicht irren. Sie mögen eine andere Ursache anzeigen, wenn sie können. Daß wir demnach einen unwiderfprechlichen Schluß (argumentum ad hominem) zu unserm Vorhaben aus diesem Einwurf heraus ziehen wollen. Was mir wegen eines zur Scligkeit nötigen Glaubenss Artikels keine Gewissheit geben kan, das ist nicht die erste, richtigste und einzige Glaubens-Regel.
Nun kann mir aber die Schrift etc. Deshalb etc.
Ich bereise den andern Satz deshalb:
Was mir wegen der Canonischen Schrift, da nämlich nur solche Bücher anzunehmen,die Apocrypha aber außen zu lassen sind, keine Gewissheit geben kan, das kann mir deswegen auch keine Gewissheit geben.
Derobalben etc.
Und was lektens die Worte, in der Offenb. Johannis 22,18. anlangt: So jemand dazu seget, so wird Gott zusetzen auf ihn die plagen, die in diesem Buch geschrieben stehen; so bitte ich, man wolle mir zeigen, mie sich diese Worte auf etwas anders beziehen, als die blose Dffenbarung Johannis insbesondere? Es heißt nicht, heutzutage, da die Canonische Schrift vollkommen oder erfüllt ist, so darf niemand mehr aus deni Geist etwas schreiben. Ja, müssen nicht alle vernünftige unter ihnen bekennen, daß es seit der Zeit, Prophezevungen und wahre Propheten gegeben habe? Die Katholiken leugnen es nicht. Und sigen nicht die Protestanten, daß Johann Huß von der Reformation geweissagt habe? Ist er deswegen verflucht gewesen? Oder hat er darinnen etwas unrechtes begangen? Ich könnte noch mehr dergleichen Beispiel anführen, die von ihnen selbst zugestanden werden. Über dieses aber ist solches schon längst vorher geboten gewesen, Sprichw. Gal. 30,6. Thue nichts zu seinen Worten, daß er dich nicht strafe, und werdekt lügenhaftig erfunden. Und dennoch wie viele Bücher der Propheten sind nicht hernach noch geschrieben worden? Eben derselbe Ausspruch wurde auch schon von Mose getan, 5 Buch Mose 4,2. Ihr solt nichts dazu tun, das ich euch gebiete, und solt auch nichts davon tun, daß, wenn wir es auch gleich weiter hinaus deuten wolten, daß es sich auf noch mehrers als die besondere Weisjagung dicses Buchs erstreckte, solches doch vonnidis anders als einem neuen Evangelio, oder von ncuen Lehren, oder von einer Einfdränkung des menschlichen Geistes, rein Menschen-Wort nicht mit Gottes Wort zu vermischen; nicht aber von einer neuen Offenbarung des Alten, wie wir vorher gesagt haben, verstanden werden kan.
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Gal. 1:18 ↩︎